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Der Energiepapst

Wirken, Werk und Werte von Michael Kohn

Im Kleidergeschäft seines Vaters an der Zürcher Langstrasse hatte Michael Kohn – Sabbat hin oder her – einen festen Wochenend-Job: Er musste die Änderungen an den Hosen abstecken, welche die Limmattaler Bauern gerne beim netten Juden einkauften, der Michaels Vater war. «Wenn du das einmal gemacht hast», pflegte Kohn später oft zu sagen, «weißt du, wie Kommunikation geht und worauf es ankommt.»


«Wir lebten jahrelang auf gepackten Koffern: zur Flucht bereit. Wir spürten: Wir gehörten nicht wirklich dazu! Wir waren tief verletzt, mein Vater und ich. Mein Vater leistete schliesslich Militärdienst wie jeder andere diensttaugliche Schweizer auch. 900 Aktivdiensttage hatte er am Kriegsende im Dienstbüchlen.»



Leseprobe

Wegen grossen Erfolgs verdächtig

Nach dem Ende des Koreakriegs (1953) begann die Schweizer Wirtschaft zu boomen. Ein ungeheurer Stromhunger führte dazu, dass überall in den Alpen in fieberhafter Eile neue Kraftwerke geplant und bestehende Werke ausgebaut wurden. Die Folgen waren Auftragsschwemme, Vervielfachung der Volumen, neue Verfahren – und alles unter Zeitdruck:
Für Betonfachleute müssen die frühen fünfziger Jahre in der Schweiz so etwas wie Bonanza gewesen sein. Wenn – wie zum Beispiel für den Bau der Staumauer von Zervreila – über eine Million Kubikmeter Rohmaterial zur Gewinnung von Kies und zur Herstellung von Beton gebrochen und verarbeitet wurden, bedeutete dies den Bau von temporären Betonfabriken im Alpengebiet und einen permanenten Bedarf an technischem Management, Werkstoff- und Qualitätskontrolle. In diesem Geschäft hatte die Eidgenössische Materialprüfungsanstalt EMPA eine Schlüsselstelle als Garantie- und Kontrollinstanz sowohl für die Behörden wie für die Investoren.


Michael Kohn hatte mit seiner ersten Arbeitsstelle die richtige Adresse erwischt. Er erinnert sich:
«Als ich mich einigermassen auf den Werkstoff Beton spezialisiert hatte, kamen die Leute von Motor Columbus mit ihrem Projekt für die Staumauer Zervreila. Motor Columbus liess ihre Konstruktionspläne bei der EMPA überprüfen; das war damals eine obligatorische Voraussetzung im Bewilligungsverfahren. Ich wirkte bei der Beurteilung des Projekts mit und habe die Spezialisten von Motor Columbus beraten. So lernten mich die dort massgebenden Leute kennen, und schliesslich boten sie mir eine Stelle in der Bauleitung des anlaufenden Zervreila-Projekts an. Das traf sich gut, denn ich wollte nun in die Praxis. So bin ich 1953 zu Motor Columbus gekommen.»


Motor Columbus wurde gegründet als Finanzierungsinstrument für Projekte der Brown Boveri (BBC) in Baden. Sie betätigte sich mit dem Bau von Kraftwerkanlagen, Generatoren, Verteilsystemen und Übertragungsanlagen, war also interessiert an einer möglichst schnellen, flächendeckenden Verbreitung der neuen Technologie. Zugleich aber litt sie unter der ständigen Kapitalknappheit ihrer Kunden, weil sich die meisten Banken noch nicht auf die Finanzierung langfristiger Industrieanlagen verstanden. Früh versuchte BBC deshalb, die Wertschöpfungskette zu verlängern und nicht nur den Bedarf nach elektrotechnischen Anlagen zu wecken, sondern auch deren Finanzierung zu organisieren. Es musste Fremdkapital mobilisiert werden, da die Start-up-Unternehmen des Fin-de-siècle ihre Bilanzen nicht unbegrenzt mit riskanten Beteiligungen an Kundenunternehmen beschweren konnten. Schon 1895 beschlossen Brown und Boveri deshalb, ihrem industriellen Komplex eine Projekt- und Finanzierungsorganisation vorzuschalten – ein eigenes Unternehmen, dessen Aufgabe es war, die Verbreitung der jungen Elektrotechnik zu fördern und das nötige Kapital zu beschaffen. Es kam zur Gründung der Motor AG (1896). In diese Idee investierten vor allem deutsche Kapitalgeber. BBC brachte ein Drittel sowie das Know-how; von den schweizerischen Banken beteiligte sich zunächst nur Leu & Cie. Zur Motor Columbus AG wurde das Unternehmen 1923 durch Fusion mit der 1913 gegründeten Columbus AG, in der weit reichende Beteiligungen an südamerikanischen Elektrizitätsgesellschaften – vor allem für die Stromversorgung der Grossstädte Buenos Aires und Lima – gebündelt waren.


Zur gleichen Zeit verfolgten auch die anderen grossen elektrotechnischen Industriekomplexe Europas analoge Pläne. Siemens & Halske gründete die Schweizerische Gesellschaft für Elektrische Industrie (Indelec). Die Allgemeine Elektrizitäts-Gesellschaft (AEG) rief unter der Leitung des Berliner Unternehmers Emil Rathenau 1895 die mit Motor Columbus konkurrierende «Bank für Elektrische Unternehmungen» («Elektrobank», ab 1946 Elektrowatt) ins Leben. Ähnliche Gründungen gab es um die Jahrhundertwende in Genf (Société Franco-Suisse pour l’Industrie Electrique mit Schneider-Creusot und Société Financière Italo-Suisse unter der Obhut der Genfer Privatbankiers.)


Parallel dazu markierten die späteren drei Schweizer Grossbanken ihre Positionen auf dem offenkundigen Zukunftsmarkt der Elektrowirtschaft. Bei der ersten Kapitalerhöhung der Motor AG stiess auch die «Bank in Winterthur», die später in die Schweizerische Bankgesellschaft überging, zu den Aktionären. Der Schweizerische Bankverein näherte sich der Indelec an. Die Schweizerische Kreditanstalt engagierte sich stark bei der Elektrobank. Später dehnten diese Gründungen ihre Tätigkeit auch auf Planung und Engineering aus. Namentlich Motor Columbus und Elektrowatt wurden zu massgebenden Treibern des Kraftwerkbaus und der Elektrizitätswirtschaft in der Schweiz.


Karl Lüönd:
Der Energiepapst
Wirken, Werk und Werte von Michael Kohn
Band 117 in der Reihe «Schweizer Pioniere der Wirtschaft und Technik» im Pioniere-Verlag, www.pioniere.ch
128 Seiten, 76 Abbildungen, Fr. 31.—


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